29.08.2019
Andreas Müller & Tobias Schlegel
In einer im Herbst 2015 erschienenen Studie hat sich Avenir Suisse mit dem passiven Wahlrecht für Ausländer auf Gemeindeebene befasst, also dem Recht, ohne Schweizer Nationalität in ein kommunales Amt gewählt werden zu können. Ziel der Studie war es, Daten zur Existenz und zur Nutzung des passiven Wahlrechts in der Schweiz zu sammeln und damit eine bestehende Wissenslücke zu schliessen.
Passives Wahlrecht in einem Viertel aller Gemeinden
Aktuell ist das passive Wahlrecht für Ausländer in den sieben Kantonen Jura, Appenzell-Ausserrhoden, Waadt, Graubünden, Freiburg, Basel-Stadt und Neuenburg in Kraft. Allerdings mit einem wesentlichen Unterschied zwischen der Deutschschweiz und der Romandie: Während das passive Wahlrecht in den Westschweizer Kantonen für alle Gemeinden gilt, überlassen es die drei Deutschschweizer Kantone ihren Gemeinden, ob sie den ausländischen Einwohnern das passive Wahlrecht gewähren wollen («Opting-in»). In Graubünden machen 22 der 125 Gemeinden davon Gebrauch, im Kanton Appenzell-Ausserrhoden sind es 3 von 20, in Basel-Stadt keine einzige. Schweizweit gewähren 600 Gemeinden mit gesamthaft mehr als einer Million Einwohner das passive Wahlrecht. Das entspricht rund einem Viertel aller Gemeinden. Grosse Unterschiede gibt es dabei auch hinsichtlich der Anforderungen an die Wohnsitzdauer, die für die Erteilung des passiven Wahlrechts erfüllt werden müssen. Freiburg, Neuenburg und die Mehrheit der Gemeinden in Graubünden erteilen das passive Wahlrecht frühestens nach fünf Jahren, während man in den Kantonen Waadt, Jura und Appenzell-Ausserrhoden sowie in einzelnen Gemeinden des Kantons Graubünden für mindestens zehn Jahre in der Schweiz wohnhaft sein muss.
Wo werden Ausländer gewählt?
Erstaunlicherweise ging noch keine Studie dieser Frage gesamtschweizerisch auf den Grund. Deshalb hat sich Avenir Suisse entschieden, mittels eines Online-Fragebogens bei den Gemeinden, die das passive Ausländerwahlrecht haben, nachzuhaken (vgl. Infobox «Online-Umfrage, Methode und Einschränkungen). Für die 317 Gemeinden, die an der Umfrage teilgenommen haben, ergaben sich folgende Resultate:
Das kriselnde Milizsystem beleben
Die relativ tiefen Fallzahlen belegen, dass sowohl aktuell als auch in der Vergangenheit wenig Ausländer in politische Ämter gewählt wurden, besonders in der Exekutive. Dies ist u.a. Ausdruck davon, dass die politischen Rechte für Ausländer Vielen unbekannt sind. Deutliche Unterschiede zeigen sich zwischen der Deutschschweiz, wo aktuell zwei Ausländer politisch aktiv sind, und der Romandie, die in Legislative und Exekutive 165 aktive Ausländer zählt. Auffallend ist auch, dass 13 der insgesamt 19 ausländischen Exekutivpolitiker in kleinen Gemeinden mit weniger als tausend Einwohnern tätig sind (vgl. Abbildung 2).
Diese Beobachtung ist besonders mit Blick auf das Milizsystem interessant, bekunden doch zumeist kleinere Gemeinden Mühe, passende Kandidaten zu finden. Vor diesem Hintergrund empfiehlt Avenir Suisse: Kantone, die aktuell kein passives Wahlrecht für Ausländer kennen, sollen es ihren Gemeinden erlauben, den ausländischen Einwohnern das passive Wahlrecht (inkl. die anderen politischen Rechte auf kommunaler Ebene) zu erteilen («Opting-in»). Die Kriterien dafür müssten deutlich lockerer sein als bei der Einbürgerung. So könnte das Milizsystem wieder belebt werden, mit dem schönen Nebeneffekt eines positiven Einflusses auf die Integration ausländischer Mitbewohner.
Beitrag von Andreas Müller & Tobias Schlegel erschienen auf deFacto.
Infobox: Unterschiedliche politische Rechte
Unter dem Begriff der politischen Rechte sind mehrere Formen der Beteiligung zusammengefasst:
Das passive Wahlrecht kann gewissermassen als höchstes der politischen Rechte bezeichnet werden. Oft werden Stimm- und aktives Wahlrecht erteilt, nicht aber das passive Wahlrecht. So beispielsweise auf Kantonsebene in Neuenburg und Jura oder auf Gemeindeebene im Kanton Genf.
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