Alec von Graffenried ist Direktor Akquisition Deutsche Schweiz bei der Losinger Marazzi AG und ehemaliger Nationalrat. Im Interview spricht er über seine anspruchsvolle Zeit als Milizträger, die Gründe seines Rücktrittes als Nationalrat sowie über das heutige Verantwortungsbewusstsein von Schweizer Unternehmen in Bezug auf das Milizsystem.
Interview: Nicole Wiedemeier und Adrian Michel, Economiesuisse (das Interview wurde im Herbst 2015 geführt. Ende November 2016 wurde Alec von Graffenried in den Gemeinderat der Stadt Bern gewählt)
Herr von Graffenried, welcher Platz wird dem Milizsystem in Ihrem Unternehmen eingeräumt?
Die Losinger Marazzi AG steht dem Milizsystem offen gegenüber. Ich persönlich wurde für meine Verpflichtungen im Parlament von der Arbeit freigestellt. Auch Mandatsträgerinnen und Mandatsträger auf Gemeinde- oder Kantonsebene werden nach Möglichkeit von ihren beruflichen Verpflichtungen befreit, um ihren Ämtern nachgehen zu können. Zudem stellt das Unternehmen sämtliche Infrastruktur zur freien Verfügung.
Wer entscheidet über die konkrete Umsetzung in der Firma?
Es handelt sich um eine Grundsatzfrage, die durch die Geschäftsleitung so gehandhabt wird.
Worin liegt der grösste wirtschaftliche Nutzen für Ihr Unternehmen?
Es gibt keinen wirtschaftlichen Nutzen. Die Firma leistet dieses Engagement, beziehungsweise fördert die Miliztätigkeiten ihrer Angestellten infolge der gesellschaftlichen Verantwortung, welche die Firma wahrnehmen will.
Sie haben Ihren Rücktritt aus dem Nationalrat per Ende Sommer 2015 bekanntgegeben. Was waren die ausschlaggebenden Gründe?
Die Zusatzbelastung, die mit einem Nationalratsmandat im Milizsystem verbunden ist, ist sehr hoch. Aufgrund mannigfacher weiterer Engagements habe ich mich deshalb entschlossen, kürzer zu treten und mich voll und ganz auf meine berufliche Arbeit bei der Losinger Marazzi AG zu konzentrieren.
Wie schwierig ist es heute, Beruf, Politik und Familie unter einen Hut zu bringen?
Ich habe das Milizprinzip vollumfänglich ausgelebt und ausgekostet, indem ich meine berufliche Tätigkeit neben dem Mandat vollzeitbeschäftigt weitergeführt habe. Das ist nicht so schwierig, solange alles gut läuft. Anspruchsvoll wird es erst dann, wenn Sand ins Getriebe gelangt. Diese Doppelbelastung konnte ich während einer gewissen Zeit gut tragen. Irgendwann bin ich aber an den Punkt gekommen, an dem ich mir eingestehen musste, dass nun genug ist.
Aufgrund meines Milizamtes musste ich zudem lernen, zurückzustecken und weder im Beruf noch im Parlament das Maximum bieten zu können. Die Übernahme zusätzlicher Verantwortung in der Firma wäre mit der Doppelbelastung kaum zu verantworten gewesen. Und im Parlament habe ich den Preis bezahlt, dass ich nicht die erste, sondern eher die dritte Geige gespielt habe. Wer in der Politik eine tragende Rolle übernehmen will, muss dieses Amt zu 100 Prozent ausüben. Nur so kann gewährleistet werden, dass man bei entscheidenden Themen zur erforderlichen Zeit präsent ist.
Weshalb sind Sie die Herausforderung dennoch eingegangen?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Das Politikgeschehen interessiert mich sehr. Da hat mich schon früh das «Politikvirus» gepackt. Zudem war der Wille zur Gestaltung, zur Veränderung und zur Verbesserung vorhanden.
Sind die heutigen Unterstützungsmassnahmen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu gering? Sehen Sie Verbesserungspotenzial für den künftigen Umgang mit dem Milizprinzip?
Den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern kann kaum mehr zugemutet werden. Ich wüsste nicht, was ich von der Losinger Marazzi AG zusätzlich fordern könnte. Die Rolle eines Parlamentariers konnte ich mithilfe ihrer Unterstützung und ihres Verständnisses immer gut wahrnehmen.
Verbesserungspotenzial sehe ich hingegen eher auf Seite der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Ihnen könnte durch zusätzliche persönliche Ressourcen – beispielsweise durch die Genehmigung von Mitarbeiterstellen – mehr Unterstützung geboten werden.
Die Losinger Marazzi AG ist ein in der Schweiz führendes Unternehmen in den Bereichen Immobilienentwicklung sowie General- und Totalunternehmung. Neben dem Hauptsitz in Bern verfügt die Baufirma über vier weitere regionale Niederlassungen in Genf, Freiburg, Zürich und Basel. Das Unternehmen zeichnet sich durch innovative und ganzheitliche Lösungen in der Finanzierung, Projektleitung und Realisierung aus.
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